Heute geht es um ein Thema, das vielen von uns bekannt vorkommt, auch wenn einige vielleicht zum ersten Mal seinen Namen hören: das Imposter-Syndrom – oder auf Deutsch: das Hochstapler-Syndrom.
Kennst du dieses Gefühl: nach aussen hin bist du erfolgreich in deinem Beruf – und trotzdem spürst du ständig eine Art Damoklesschwert über dir. Nämlich die Angst, dass du bald als totale Niete auffliegen könntest. Dann hast du wahrscheinlich das sog. Imposter-Syndrom. Das ist kein neuer Modebegriff, sondern ein psychologisches Phänomen, das Millionen Menschen betrifft. Und das Imposter-Syndrom kann das Hamsterrad, in dem wir uns sowieso schon drehen, noch einmal ordentlich beschleunigen.
Was ist das Imposter-Syndrom
Das Impostor-Syndrom ist das Gefühl, dass du eigentlich gar nicht gut genug bist für das, was du tust. Du denkst, dass andere dich völlig überschätzen – und irgendwann bestimmt merken werden, dass du eigentlich gar nichts drauf hast.
Typische Gedanken sind zum Beispiel:
- „Ich hatte nur Glück, dass ich diese Stelle bekommen habe. Eigentlich bin ich gar nicht so gut.“
- „Meine Kollegen und Chefs haben nur noch nicht gemerkt, wie unfähig ich bin.“
- „Bald fliegt alles auf – dann bin ich geliefert.“
Besonders gemein daran: Dieses Gefühl ignoriert alle Erfolge. Ganz egal, was du schon erreicht hast oder wie viele Komplimente du bekommen hast – es bleibt dieses nagende Gefühl, das dir sagt: „Ich bin ein Fake.“
Diese Gedanken führen dazu, dass viele Betroffene jeden Tag mit der Angst leben, aufzufliegen. Statt sich über ihre Erfolge zu freuen, haben sie ständig Angst, dass ihr Kartenhaus zusammenbricht. Ich kenne das nur allzu gut: Schon in der Schule dachte ich nach jeder Klassenarbeit, dass ich sie komplett in den Sand gesetzt habe und jetzt der unaufhaltsame Abstieg nach ganz unten beginnt. Selbst wenn ich am Schuljahresende mit einem Buchpreis für gute Leistungen nach Hause kam, kam schon bald der Gedanke angeschlichen: „Dieses Jahr hatte ich Glück. Aber nächstes Jahr fliege ich auf.“ Dieses Gedankenkarussell begleitet mich bis heute. Ich frage mich oft, wie ich es geschafft habe, 20 Jahre lang im Job durchzukommen, ohne dass alle gemerkt haben, dass ich eigentlich keine Ahnung habe.
Das Imposter-Syndrom ist übrigens nicht als eigenständige psychische Störung anerkannt. Es gilt als Phänomen, das viele Menschen in unterschiedlichem Ausmass erleben.
Typische Verhaltensweisen eines Imposters
Diese Angst, dass andere merken könnten, dass man nichts als ein Betrüger und Hochstapler ist, macht etwas mit einem. Vor allem bewirkt sie, dass man versucht durch bestimmte Verhaltensweisen zu verhindern, dass man ‚entlarvt‘ wird. Das Problem: viele dieser Verhaltensweisen sorgen dafür, dass sich unser Hamsterrad schneller und schneller dreht.
Als Vertuschungsstrategie, damit nicht auffliegt, dass man nichts kann, arbeiten Betroffene des Imposter-Syndroms besonders hart. Diese Strategie führt oft zum Erfolg. Das Problem dabei ist: man denkt, man muss immer ganz besonders hart arbeiten, um zu verhindern als Hochstapler aufzufliegen. Man lebt im ständigen Glaube, dass die nächste Aufgabe garantiert daneben gehen wird und die Leute dann herausfinden, dass man eigentlich gar nichts kann. Das führt in einen Teufelskreis aus der Sorge aufzufliegen, extremer Anstrengung, um die vermeintliche Unfähigkeit zu vertuschen. Zwischendurch kurze Erleichterung, weil das Versteckspiel aufgegangen ist, bevor wieder die Sorge aufpoppt, bei der nächsten Aufgabe enttarnt zu werden.
Ausserdem zeichnen sich Menschen mit Imposter-Syndrom durch einen stark ausgeprägten Perfektionismus aus. Sie haben eine grosse Angst vor Fehlern. Um zu beweisen, dass sie etwas wert sind, wollen sie alles perfekt machen. Aus Angst vor Fehlern werden vollkommen überhöhte Massstäbe gesetzt, die nur schwer zu erreichen sind. So fällt es später schwer, das Projekt jemals als abgeschlossen anzusehen. Da wird immer weiter gefeilt und gemacht, weil das Ergebnis noch unvollkommen erscheint. Manchmal werden Aufgaben auch gar nicht erst begonnen. Lieber gar nicht anfangen als am Ende ein unperfektes Ergebnis zu haben.
Auch typisch für das Imposter-Syndrom ist, dass Erfolge kleingeredet werden. Sie werden als nichts Besonderes abgetan, das jeder geschafft hätte. Lob wird abgewiesen mit der Begründung, dass der Lobende nur nett sein will oder keine Ahnung hat und schlicht nicht merkt, was man für einen Murks fabriziert hat. Das ist paradox. Denn wer das Imposter-Syndrom hat, sehnt sich eigentlich nach Lob und Bestätigung für sein Können, kann es aber dann nicht annehmen. Im Gegenteil. Ein Lob fühlt sich schlecht an, man fühlt sich erst recht wie ein mieser Betrüger.
Kurz zusammengefasst: wer das Imposter Syndrom hat, reisst sich den Arsch auf, um gute Leistungen zu bringen. Gleichzeitig blockt er aber alles ab, was dafür spricht, dass er sein Ziel, erfolgreich zu sein tatsächlich erreicht hat.
Wie das Imposter-Syndrom das Hamsterrad beschleunigt
Das Impostor-Syndrom sorgt dafür, dass Betroffene ihre eigene Leistung ständig anzweifeln. Um die vermeintliche Inkompetenz zu kaschieren, arbeiten sie härter als alle anderen. Jede Aufgabe wird zur nervlichen Zerreißprobe. Jeder Erfolg fühlt sich wie eine tickende Zeitbombe an, die bald explodiert. Das Hamsterrad dreht sich immer schneller: härter arbeiten, Angst vor Fehlern, noch härter arbeiten, noch mehr Angst. Und am Ende hast du das Gefühl, dass du jeden Moment zusammenbrichst und weisst nicht, wie du aus diesem Spiel jemals wieder rauskommen sollst.
Was kann man dagegen tun?
Wenn du dich wiedererkennst, habe ich hier ein paar Tipps für dich, wie du dein Imposter-Syndrom besser in den Griff bekommen kannst:
- Mache einen Faktencheck: Schreibe dir alle deine Erfolge auf – egal ob gross oder klein. Schwarz auf weiss zu sehen, was du alles erreicht hast, hilft gegen das Gefühl, ein Betrüger zu sein.
- Identifiziere deine Stärken: Mache eine Liste deiner Stärken und Talente. Konzentriere dich nicht nur auf das, was (noch) nicht perfekt ist.
- Rede offen darüber: Sprich mit Freunden, Kolleginnen oder auf Social Media über deine Zweifel. 70 % der Menschen erleben solche Gedanken irgendwann – du bist also nicht allein.
- Lasse Fehler zu: Perfektionismus ist der Lieblingsantrieb des Imposter-Syndroms. Lerne, dass Fehler normal sind und zum Lernen dazugehören. Wer nie Fehler macht, probiert nichts Neues aus.
- Nimm Lob an: Wenn dir jemand ein Kompliment macht, sag nicht sofort: „Ach, das war doch nichts.“ Stattdessen: „Danke, das freut mich.“ Punkt. Kein „Aber“. Kein „Jeder hätte das geschafft.“
Den ersten Schritt zur Entschleunigung machst du, wenn du erkennst: Deine Gedanken sagen dir nicht immer die Wahrheit. Du bist kein Hochstapler, sondern jemand, der sich reinhängt und trotzdem das Recht hat, Fehler zu machen. Du musst nicht perfekt sein, um gut genug zu sein.